„Üben Sie das Nein-Sagen!"
12.09.2023Stress am Arbeitsplatz ist nicht nur anstrengend, sondern kann auch die Gesundheit nachhaltig gefährden. Marion Junck berät Menschen in Stresssituationen und hilft ihnen, widerstandsfähiger zu werden. Ein Gespräch über den Wert von Pausen, womit moderne Arbeitgeber Stress reduzieren können und wie ein freundliches „Nein“ das Leben verändern kann.
Foto: Tanja Hammel Fotografie
Frau Junck, beginnen wir mit einer scheinbar einfachen Frage: Was ist Stress?
Stress ist alles, was den Menschen dauerhaft aus der Ruhe bringt. Es gibt auch positiven Stress, der uns fordert, der uns lebendig hält. Wenn aber der Ausgleich fehlt, wir dauerhaft in einer angestrengten Haltung sind, Leistung bringen zu müssen, dann kann Stress krank machen.
Woran erkennt man, dass etwa der Stress am Arbeitsplatz ungesund wird?
Aufgeregtheit vor einer Präsentation oder ein Magengrummeln vor dem Jahresgespräch mit Chef oder Chefin, das sind normale Reaktionen des Körpers. Wenn ich aber oft Schlafprobleme habe, weil ich mich nachts mit Herausforderungen vom Schreibtisch beschäftige, wenn ich dauerhaft angespannt bin und regelmäßig morgens mit Magenschmerzen zur Arbeit gehe, dann ist das ein Problem. Dann sollte man handeln.
Sie waren als Betriebswirtin lange Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen. Nach Burnout und chronischem Schmerzleiden haben Sie sich zur Heilpraktikerin ausbilden lassen und beraten heute Menschen besonders rund ums Thema Stress und dessen Bewältigung. Was stresst Sie im Arbeitsalltag?
Ich versuche, Stress erst gar nicht entstehen zu lassen. Ich priorisiere meine Aufgaben: Sitze ich also gerade an einer Aufgabe mit Prio 1, dann gehe ich nicht ans Telefon, beantworte keine Mails, gar nichts – ich mache erst diese Aufgabe zu Ende. Ich weiß, dass das nicht an jedem Arbeitsplatz zu 100 Prozent möglich ist. Aber Priorisierung und das Vermeiden vom Multi-Tasking, zu dem wir Menschen gar nicht fähig sind, ist wichtig.
Sie behandeln in Ihrer Praxis viele Menschen, die durch Stress bei der Arbeit krank geworden sind. Was stresst Menschen im Arbeitsumfeld besonders?
Ein ganz wichtiger Punkt: Alle Menschen brauchen positives Feedback, wollen geliebt werden. Leider denken viele Arbeitende, dass sie im Job nicht nein sagen dürfen und versuchen beispielsweise, E-Mails immer möglichst schnell zu beantworten. Sie wollen Eindruck machen und gute Leistung bringen – und machen sich dadurch immensen Stress. Sehr oft entsteht Stress auch durch Führungskräfte, die nicht zur Mitarbeiterführung geeignet sind. Sie mögen fachlich spitze sein, sehr erfahren, aber sie wissen eben nicht, wie man mit der Ressource Mensch umgeht, sind nicht gut im Teambuilding. Und das kann fatal sein.
Was können Arbeitnehmer in einem solchen Fall tun?
Sie sollten das Gespräch suchen. Es gibt zum Glück einen Wandel bei vielen Unternehmen. Nicht zuletzt der Fachkräftemangel und der offenere Umgang mit mentalen Erkrankungen wie Burnout schafft Räume, um seine Sorgen und Über- und Unterforderungen anzusprechen. Moderne Unternehmen wissen, dass eine offene Gesprächskultur, Prävention, Pausen, Sportangebote im wahrsten Sinne wertvoll sind.
Es stresst selten nur der Arbeitsplatz. Manchmal kommt dazu noch die Familie, Pflege von Angehörigen, ein drückender Hauskredit und andere sogenannte Stressoren. Wie erkenne ich, was mich am meisten stresst?
Stress hat immer mit Emotionen zu tun. Zur Lösung müssen wir aber auf die Sachebene. Ich stelle einfache Fragen. Fragen, die im stressigen Alltag oft niemand stellt. Was stresst dich, was überfordert dich, was würdest du gerne ändern? Meist kommen meine Patienten schnell auf die Themen, die sie besonders stressen. Und die gehen wir dann an, entwickeln Techniken für einen besseren Umgang mit Stress und mehr Resilienz (siehe weiter unten: Marion Juncks fünf Favoriten im Kampf gegen Stress). Manchmal reichen kleine Tricks, um Stress abzubauen.
Was kann ich machen, wenn ich bei der Arbeit sehr gestresst bin, aber gerade keine Zeit für einen Spaziergang oder andere entspannende Tätigkeiten habe?
Machen Sie eine Liste. Fünf, sechs Dinge, die Ihnen Freude machen. Freunde treffen, lesen, solche Dinge. Manchmal reicht es schon, sich zu erinnern, dass das Leben reichhaltiger ist als das Thema, das gerade sehr präsent ist. Oft genügt es auch schon, die Zeit im Blick zu haben: Wie lange geht dieses Projekt noch, wann kehrt vielleicht eine ruhigere Phase im Job oder im Privaten ein.
Für manche bedeutet Arbeitsethos, Pausen im Zweifel ausfallen zu lassen. Gerade Führungskräfte haben Angst, nicht mit vollem Einsatz voranzugehen. Was raten Sie da?
Ich spreche viel mit Menschen, die sehr viel leisten wollen. Denen sage ich: Achtet auf euren Körper, wir brauchen den – ohne gesunden Körper keine Leistung. Und deswegen gilt: Wir brauchen Ausgleich und Pausen, Zeiten ohne Job, ohne Smartphone, ohne Erreichbarkeit. Guter Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung sind genauso wichtig. Dafür braucht es Zeit. Wer denkt, dass er in dieser Zeit besser noch ein paar E-Mails vom Sofa aus schreibt, könnte bald ein größeres Problem haben.
Viele Menschen trauen sich nicht, „Nein“ zu sagen.
Ja, das ist ganz oft so. Weil sie, ich sagte es schon, Eindruck machen und gute Leistung bringen wollen. Doch das freundliche, inhaltlich begründete Nein-Sagen kann man üben. Man sollte es sogar üben. Probieren Sie es aus – es verändert Ihr Leben.
Marion Juncks fünf Favoriten im Kampf gegen Stress
Marion Juncks fünf Favoriten im Kampf gegen Stress
Achtsamkeit
Eine universale Weisheit, dennoch sehr wirkungsvoll. Erst wenn Sie achtsam und aufmerksam mit sich selbst umgehen, können Sie erkennen, was Sie stresst. Versuchen Sie einmal, ein Tagebuch zu schreiben und notieren Sie einzelne Etappen Ihres Tagesablaufes. So können Sie Erschöpfungsmuster erkennen und Lösungsansätze zur Stressreduktion und Stressvermeidung finden.
Zeitmanagement
Planen Sie die großen und kleinen Aufgaben des Tages. Das lohnt sich schon, weil es einen Überblick über die Aufgaben gibt und es leichter fällt, Probleme rechtzeitig zu erkennen. Es kann sogar verhindern, dass Stress entsteht. Vermeiden Sie damit in Zeitdruck zu geraten. Nehmen Sie sich nicht zu viel vor, setzen Sie Prioritäten und lassen sich nicht von äußeren Einflüssen ablenken. Für ein besseres Zeitmanagement hilft, genau zu dokumentieren, was Sie an einem Tag gemacht haben und wieviel Zeit dafür verwendet wurde. Schauen Sie sich die Zeiten genau an – das hilft dann auch beim Blick auf kommende Aufgaben.
Ausgleich
Wer nur arbeitet, kann bald nicht mehr arbeiten. Körper und Seele brauchen Pausen und aktiven Ausgleich. Nutzen Sie diese Möglichkeit, um sich zu entspannen und schalten Sie mal alle Gedanken ab. Oft reichen schon fünf bis zehn Minuten aus, um sich deutlich besser zu fühlen. Nehmen Sie Pausen ernst, die sollten für echte Erholung dienen – also bitte nicht auf alle WhatsApp-Nachrichten des Tages antworten. In Pausen wird Stress abgebaut und Sie sorgen sowohl für mehr Konzentrations- und auch Leistungsfähigkeit.
Realismus
Bei vielen Aufgaben kennen wir den Aufwand. Seien Sie also realistisch, bieten Sie keine Deadline an, die Sie dann nur unter Schmerzen einhalten können. Dinge brauchen so lange, wie Sie brauchen. Und ein Schreibtisch-Tagebuch (siehe Zeitmanagement) hilft, kommende Aufgaben realistisch einzuschätzen.
Nein sagen
Nein sagen kann man lernen, man muss es sogar lernen. Sie können es nicht jedem recht machen. Menschen geraten in Stress, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zurückstellen. Im Alltag kostet das viel Kraft. Nein sagen, ohne andere zu verletzen, kann man üben. Fangen Sie gleich heute an. Es hilft Ihnen – aber auch den Vorgesetzten und den Kollegen.
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Geschrieben von publish! Medienkonzepte